Mit der Wanderkarte unterwegs

© Saarpfalz-Touristik, Manuela Meyer

Gewinner des Bliesgau Geschichten Wettbewerbes

Die Saarpfalz-Touristik hatte zu einem Bliesgau Geschichten Wettbewerb aufgerufen. Es wurden Geschichten gesucht, die mit der wunderschönen Region des Bliesgaus verbunden sind. Egal, ob als Reisender, Einheimischer oder als jemand, der die Schönheit des Bliesgaus entdeckt hat, dieser Wettbewerb bot eine Plattform, um Geschichten und Fantasien zu teilen, die die Region widerspiegeln.

Hier ist die Gewinnergeschichte von Eva F. aus Saarbrücken: 

Das Schloss, der Herzog, die Katze und ich 


An diesem Herbstferientag war mir nicht nach Märchen und schon gar nicht nach Wandern zumute. Aus dem Märchenalter bin ich ziemlich herausgewachsen und aufs Wandern habe ich meistens keine Lust, ehrlich gesagt. Das bleibt natürlich unter uns! Mama übrigens auch nicht, aber wir wollten Papa und meiner Patentante Evelyn einen Gefallen tun, weil sie extra mit dem Zug losfuhr, um ein paar Stunden mit uns zu verbringen. 

Die beiden schienen sich nämlich richtig aufs Wandern zu freuen, trugen passendes Outfit und hatten ihre Rucksäcke geschultert, während ich Mama einen genervten Blick zuwarf, als sie für uns beide festere Schuhe im Kofferraum unseres Autos verstaute. 

Auf der Fahrt zu unserem Ziel schwärmte Papa von einer spannenden Tour durch den Wald zu einem Märchenschloss, welches es einmal spielend mit Versailles hatte aufnehmen können. Versailles? Kaum zu glauben, das kannte ich schon, und sofort fielen mir wieder die vielen Touristen ein. Alle schoben wir auf Filzpantoffeln durch unzählige goldglänzende Räume und machten anschließend beim Picknick die Parkanlagen unsicher. 

Als wir endlich ankamen, standen ein paar Autos da, von Reisebussen keine Spur! Seltsam, dachte ich, ein Ort wie Versailles – und den soll hier kaum jemand kennen? Ich sah mich um, konnte mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, im dichten Herbstwald auf eine Schlossanlage zu stoßen. Abwarten! Während Mama und ich noch unsere Schuhe wechselten, gingen die anderen voraus und winkten uns aufmunternd zu. Irgendwie passte hier einiges nicht zusammen.  

Schloss oder gepflegte Parkanlagen? Fehlanzeige! Auf schmalen Pfaden ging‘s durch den Wald, ehe wir oben ein Plateau erreichten, das wie eine große Wiese aussah. Papa hatte sich bereits neben einem Schild postiert und erklärte, dass wir genau an diesem Punkt auf dem zentralen Schlosshof stünden. Ja, Ihr habt richtig gehört! Doch von den einstigen Gebäuden war nichts mehr zu sehen außer ein paar traurigen Mauerresten im Gras. Kein Vergleich zu der bunten Abbildung auf der Hinweistafel. So soll es hier einmal ausgesehen haben? Fast eine richtige Stadt stand da oben, außer dem prächtigen Schloss für Herzog Karl II. August (den Namen hatte ich mir gleich gemerkt!), seinen Hofstaat und seine riesigen Sammlungen noch jede Menge anderer Gebäude. Sogar eine Brauerei und eine ganze Armee fanden genügend Platz. Zehn Jahre dauerten alleine die Bauarbeiten, kaum sechszehn Jahre später, im Juli 1793, war alles vorbei. Da ging das Schloss in Flammen auf. Die Französische Revolution! Hatte Versailles einfach nur Glück gehabt? 

Ich war enttäuscht und auch irgendwie traurig. Wie kann es sein, dass so gar keine Spuren mehr von dem ganzen Zauber übriggeblieben sind? Wir wanderten weiter. Nicht weit von der Schlosswiese sah man die Reste eines anderen Gebäudes: die Orangerie. Sie besaß drei Flügel und wirkte damals wohl selbst wie ein Schlösschen. Im Innenhof konnte man noch erkennen, wo früher der kreisrunde Ballsaal stand. Hier überwinterten nicht nur wertvolle Zitruspflanzen – hier wurde so richtig stilvoll gefeiert! Mama schlenderte etwas gelangweilt herum, während Papa und Evelyn dabei waren, die Ruine näher zu untersuchen. Gerade wollte ich mich bücken, um in eines der vergitterten Gewölbe hineinzuschauen, als von dort ein leises Miauen kam. Ich schnalzte mit der Zunge und siehe da: Heraus schlüpfte eine wunderhübsche, große weiße Katze, die stolz ihren dichten Schweif in die Luft hob, mich aus blitzblauen Augen anfunkelte und – ich kann´s noch immer nicht fassen: anredete! 

„Gestatten, Chouchou, die herzogliche Katze“. Ich war sprachlos. 
„Du wunderst Dich sicherlich, dass ich hier auftauche. Nun, wir Katzen haben bekanntlich sieben Leben. Das gilt natürlich nur für ganz gewöhnliche Katzen, nicht für die Katze eines Herzogs! Meine Ahnen saßen immerhin schon mit auf dem persischen Pfauenthron. Glaub mir, ich verstehe nun wirklich etwas vom Luxusleben!“ 
Ich rechnete kurz nach und kam auf zweihundertdreißig Jahre, die seit dem Untergang des Märchenschlosses vergangen waren. 
„Wo hast Du denn in der Zwischenzeit gesteckt“? 
„Der Herzog und die Herzogin wurden gewarnt und sind gleich im Winter des Schreckensjahres 1793 heimlich mit der Kutsche nach Mannheim geflohen. Während die vielen exotischen Tiere und Pflanzen zurückbleiben mussten, saß ich erst einmal bequem im herzoglichen Reisegepäck und ahnte, dass sich da draußen etwas sehr Ernstes zusammenbraute. Katzeninstinkt eben! Dennoch schmeckte mir die Sache mit der plötzlichen Flucht nicht so ganz. Zumal ich meine Freunde, die Kinder des Erbauers dieses herrlichen Schlosses, Johann Christian von Mannlich, nicht im Stich lassen wollte. Der Herzog war immerhin ihr Patenonkel, deshalb traf ich Carl und Caroline gelegentlich. Später zogen sie leider fort nach München, doch da hatte ich unten in der Stadt schon ein neues Plätzchen gefunden und, ja, verwandelte mich einfach mit jedem neuen Katzenleben. Aber Katzen hängen bekanntlich mehr an ihrem Haus als an ihren Menschen, und deshalb schaue ich immer wieder oben auf dem Karlsberg nach dem Rechten. Ich war ja Zeugin weltgeschichtlicher Ereignisse.“ 
„Hast Du den Herzog und die Herzogin nicht vermisst?“ 
„Um ehrlich zu sein, der Herzog interessierte sich viel mehr für Pferde, Hunde und exotische Vögel. Und die Herzogin wurde nach dem Tod ihres kleinen Sohnes sehr melancholisch. Ich sorgte ab und zu für gute Stimmung, ging aber in dem riesigen Schloss bald meine eignen Wege.“ 
„Dann erzähl mir noch mehr von damals.“ 
„Gerne. Komm mit.“ 

Wir kehrten zu der Stelle zurück, wo Chouchou aus dem Kellergewölbe herausgekrochen war. Während meine Leute weiterhin zwischen den Mauerresten herumkraxelten, stand ich plötzlich mit meiner Begleiterin mitten in einer glamourösen Festgesellschaft: Damen in phantastischen Ballkleidern mit üppigen Reifröcken, Puderperücken und Hüten voller Schleifen und Blumen, ihre Kavaliere in goldbestickter Seide. Überall flatterten buntschillernde Vögel herum, Pfaue schlugen Rad, Pelikane ließen sich von den Gästen kraulen, und es roch wunderbar nach Orangen- und Zitronenblüten. Doch wir ließen den Festtrubel bald hinter uns und spazierten auf einer breiten Allee in Richtung „Karlslust“. Seltsam nur, dass ich mich selbst und meine Lieben dort ebenfalls durch den nebeligen Herbstwald wandern sah, so, als bewegten wir uns in einer Filmkulisse. 

„Unterwegs ins geheimnisvolle Paradies des Herzogs“, flüsterte Chouchou. 
„Mal sehen, ob wir heimlich die große Vogelfütterung beobachten können oder dabei sind, wenn der Herzog wieder einmal ein paar Hofdamen vor den Bären rettet. Er verbringt die Zeit hier am liebsten alleine oder in angenehmer Gesellschaft. Ganz Privatmensch …“ Chouchou lächelte dabei wie jemand, der mehr weiß als er verraten mag. 

Wenig später standen wir vor einem niedlichen Schlösschen, das wie ein Zirkuszelt aussah. Wir folgten einem prächtigen Pfau nach drinnen bis zu einem „Tischlein-deck-dich“ voller Leckereien. Kronleuchter, Tafelsilber und Champagnergläser funkelten mit bunten Vögeln um die Wette. 

„Schau nur, was die Gartenarchitekten des Herzogs so alles gezaubert haben“. Von der Terrasse des „Tschifflik“- Schlösschens aus wies Chouchou auf weitere exotische Pavillons und einen mächtigen Wasserfall, der sich mit Getöse über viele Stufen hinunter in ein riesiges Becken am Talgrund stürzte und dem zwei Weiher folgten wie Perlen auf einer Schnur. Weiße und schwarze Schwäne zogen dort ihre Bahnen. Am Ufer des größeren Teiches saßen an einer üppig gedeckten Tafel: der Herzog und sein Baudirektor und prosteten sich zu. Unglaublich! 
Chouchou schnippte kurz mit den Pfoten und war plötzlich verschwunden. Wie schade! Ich stand nun wieder neben Mama, dann packten alle gemeinsam die Rucksäcke aus. An der Stelle, wo eben der Herzog tafelte, verspeisten wir unsere Brote. „Adieu Eure Durchlaucht! Adieu Chouchou! Und vielen Dank für den märchenhaften Nachmittag“. 
 


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